Sibylle Ortner

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Übung Charaktere erschaffen - Spontan aus dem Telefonbuch

Interessante Charaktere erschaffen zu können, ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die man als Autor fiktiver Geschichten braucht. Das zu üben, zahlt sich immer aus. Dabei Spaß zu haben, sowieso.

Charaktere zu beschreiben ist immer eine gute Übung. Nicht nur, dass man sein Handwerk übt, man kann so auch auf neue Figuren stoßen, die man dann in irgendeiner anderen Geschichte einbauen will. Bevor ich die Angabe für die heutige Übung verrate, möchte ich schnell noch auf etwas Wichtiges hinweisen. Da all diese Übungen des freien, ungeplanten Schreibens als Anregung dienen sollen, ist es vollkommen in Ordnung, wenn das Ergebnis von der eigentlichen Aufgabe abschweift. Mein eigener Beitrag zur folgenden Übung würde wohl als Schularbeit Abzüge wegen Themaverfehlung bekommen. Aber für das, was hier machen, ist das nicht wichtig. Die Aufgaben sollen Anregungen darstellen, mit denen man sich auseinandersetzen kann, wenn etwas anderes dabei herauskommt mit dem man mehr Freude hat, dann ist das gut so. Meine Geschichte hat nach den ersten Zeilen eine Wendung genommen, die mir viel Freude bereitet. Das Ergebnis passt nicht mehr perfekt zur Angabe, aber es hat mir sehr viel Spaß gemacht, mich zum Schreiben gebracht und lachen musste ich auch noch dabei – ein Erfolg auf der ganzen Linie 😁.

 

Aufgabe: Beschreibe einen Charakter, der besonders risikofreudig ist. Gehe dazu in dein Telefonbuch am Handy und suche die erste Person unter dem Buchstaben R (wie Risiko) heraus, deren Beruf du kennst. Der Charakter, den du beschreiben sollst, wird ebenfalls diesen Beruf haben.

 

Viel Spaß dabei 😊

 

 

Und hier ist mein Beitrag (für Neugierige). Da ich mein Leben lang schon mit Pferden zu tun habe, habe ich natürlich auch viele Freunde und Bekannte aus der Reiterszene. Unter R fand sich als erster Eintrag eine Bekannte, die in einem Reitsportgeschäft arbeitet. Man verzeihe mir die vielen unerklärten Worte aus der Reiterszene. Es ist eben nur eine Übung und als solche nicht an spezielle Leser (wie zum Beispiel Leser, die nichts mit Pferden zu tun haben) angepasst. Und wie es sich für so eine Übung gehört, habe ich nur Tippfehler ausgebessert und sonst nichts mehr verändert. Ein kurzer roher Text muss nicht perfekt sein. Also nur keine Scheu, einfach schreiben❤️:

 

Kurz vor acht tritt Regina ihren Dienst an. Wenn sie in ihr Arbeits-T-Shirt schlüpft sieht sie aus, wie alle ihre Kolleginnen vom Ponyshop, dem größten Reitsportgeschäft der Gegend. Doch wenn man genauer hinschaut, bemerkt man, dass man etwas Wichtiges übersehen hat. Dieses Funkeln in den Augen, die Art, wie sie Dinge betrachtet, und dann noch dieses Lächeln. Ein spezielles Lächeln ohne Frage, das sie immer dann bekommt, wenn sich in ihrem Kopf eine aufregende Idee formt. Und aufregende Ideen sind ihr Spezialgebiet. Denn Regina ist nicht nur Verkäuferin im Pferdefachhandel. Nein, Regina ist vor allem auch eines - risikofreudig! Vielleicht mag der ein oder andere Leser nun stutzen und sich fragen, wie sich dieser Charakterzug vor dem Hintergrund eines Pferdesportgeschäfts zeigt. Es ist nicht so, dass Regina ihren Arbeitsplatz jeden Tag durchs Fenster im zweiten Stock verlässt – das kommt seltener vor, als die meisten ihrer Kolleginnen denken - sie hängt auch nicht in ihrer Freizeit mit Straßengangs herum oder legt sich mit Hornissennestern an, das nicht. Aber Regina ist, wie alle ihrer Kolleginnen eine Reiterin. Und bei Reitern gibt es solche und solche. Manche sind ängstlich und eingeschüchtert, manche verbergen das, indem sie ihr Pferd immer nur auf demselben Platz reiten, damit es ja nicht mit etwas Neuem konfrontiert wird - aber wieder andere setzen sich gern sattel-und zaumzeuglos auf junge Pferde, lernen ihnen das Springen oder jagen mit ihnen über Geländestrecken. Und zu dieser letzteren Gruppe gehört Regina. Und das merkt man auch an ihrem Verkaufsstil: „Klar, es ist ein hübscher Sattel, allerdings auch sehr teuer. Sind sie sicher, dass Sie den auch brauchen? Ohne Sattel reiten ist gut für den Sitz und man hat immer einen warmen Hintern.“ Oder sie sagt Dinge wie: „Ein Zaumzeug engt doch nur ein und es sieht aus wie ein Bondage-Produkt. Wollen Sie wirklich mit sowas gesehen werden? Wie wäre es lieber mit einem hübschen Stallhalfter, die gibt es in allen Farben. Da kann man auch Zügel reinhängen, wenn man sie unbedingt braucht. Oder Sie nehmen nur einen Strick, den kann man auch in einen Halsriemen umwandeln.“ Die Kunden lassen sich dadurch aber nicht immer beirren. „Ist gut, wenn sie die Aufstiegshilfe wirklich brauchen, dann nehmen sie sie. Aber ich sage ihnen, das Aufspringen im Galopp zu lernen, dauert gar nicht so lange. Und mit Schwung kommt man eben viel besser rauf.“ Gut für sie ist, dass sie die Nichte der Geschäftsführerin ist. „Hilfszügel sind aus! Was da hinten? Nein, die sind alle schadhaft. Sie haben ja recht, die sehen gut aus, aber wissen Sie, die sind verflucht. Ja, wenn Sie die benutzen, erscheinen in Ihren Träumen all die Pferde, die Sie damit gequält haben und verfolgen Sie bis an ihr Lebensende und man munkelt sogar noch darüber hinaus. Aber klar, ist ihre Entscheidung.“

Aber Reginas Leidenschaft hat auch viele gute Seiten. Der Ponyshop hat im gesamten deutschen Raum für Schlagzeilen gesorgt, als das erste Reitsportgeschäft, das keine schmerzhaften „Hilfsmittel“ für die Pferdeausbildung mehr verkauft, was zu hohen Verkaufszahlen anderer Produkte geführt hat. Regina reitet weiterhin auf den wildesten Pferden und freut sich über den Fortschritt. „Eigentlich sind all diese Tinkturen und Mittelchen, die wir hier verkaufen, wirkungslos und nur als Beschäftigungstherapie für Pferdebesitzer gedacht, die ihre Tiere in viel zu engen anti-artgerechten Boxen in quälerischer Einzelhaltung halten, aber durch das Auftragen dieser Produkte das Gefühl bekommen, sich total liebevoll um ihre Pferde zu kümmern. Deshalb sind auch die Preise so hoch. Das schlechte Gewissen wegschmieren kostet halt.“ Naja, das mit dem Geschäftssinn hat sie immer noch nicht ganz im Griff....