Kurz bevor… - Eine Schreibübung mit Inspirationsbild

Es wird mal wieder Zeit für eine kleine Schreibübung 🙂. Dieses Mal geht es darum, sich von einem Foto inspirieren zu lassen. Die Aufgabe liest sich folgendermaßen:

Aufgabe: Schreibe eine Szene, die an diesem Ort beginnt, aus den Augen von jemandem, der kurz davor ist, ein Risiko einzugehen.

Theoretisch kann man jedes Bild nehmen, das einen anspricht. Wer Instagram benutzt, kann zum Beispiel nach dem Hashtag #brücke suchen und sich das erste Bild nehmen, das ein leichtes Kribbeln auslöst.

Aus meinem eigenen Fundus gebe ich dieses Bild hier vor, zu dem ich gar nichts weiter sagen möchte, um nicht unabsichtlich einen zu engen Rahmen zu bauen:

IMG_20200128_072847.jpg

Alles, was es jetzt noch braucht, ist ein Charakter, der kurz davor ist, ein Risiko einzugehen. Was hier riskiert wird, wie hoch der Einsatz ist und was sich der Charakter zu gewinnen erhofft, muss alles selbst erdacht werden 😊.

Ich wünsche viel Spaß dabei 😃.

Ich selbst habe die Übung mit einem anderen Bild gemacht, dass mich spontan angesprochen hat. Es war das Foto einer steinernen Treppe, die steil nach unten führt zu einer Art Laube. Von oberhalb der Treppe, von wo aus das Foto gemacht wurde, kann man über die Dächer Prags blicken. Ich habe dieselbe Prämisse benutzt: Ein Charakter steht kurz davor, ein Risiko einzugehen. Ich bin dabei in romantische Gefilde abgetaucht und habe mich von dem klassischen Risiko eines Liebesgeständnisses inspirieren lassen. Wieder einmal war es hart für mich, die Szene kurz zu halten, weil sich schon nach den ersten Sätzen eine immer größer werden wollendere Hintergrundgeschichte aufgebaut hat. Während sich ganze Leben und Welten hinter den drei erwähnten Figuren auftürmten, habe ich versucht, doch noch zu einem raschen Ende zu finden. Es soll ja eben nur eine kleine Szene sein, musste ich mir vorsagen. Etwas Einfaches, Kleines, das nicht weltbewegend, ja noch nicht mal sonderlich spannend oder gekonnt sein muss - es ist nur eine Übung, ein kleiner Spaziergang. Wer interessiert ist, kann meine kleine Szene gern lesen:

An der Treppe

Tommy atmete nochmal tief durch. Er wollte so tun, als wäre sein Plan gar nicht so wild. Das Ergebnis ist nicht wichtig, sagte er sich nun schon zum hundertsten Male vor. Sei mutig. Es ist in Ordnung. Es ist fair. „All diese Kerle in den Mangas“, klang Ellas Stimme durch seinen Kopf. „Immer behalten sie es für sich, wenn sie in ein Mädchen verliebt sind. Und immer bringt es Kummer.“ Sie hatte ihre Argumente so wundervoll dargebracht an jenem Nachmittag, als sie tatsächlich einmal allein zu zweit durch die Stadt spaziert waren. „Und immer ist es so unfair. Die Mädchen merken doch, dass was nicht stimmt, und wenn sie versuchen, das zu klären, dann reagieren auch die verliebtesten Kerle alle gleich und sagen etwas Dummes oder Beleidigendes.“ Er hatte davor noch nie darüber nachgedacht gehabt, doch er hatte es sofort verstanden. „Conan sieht Ran immer weinen wegen ihm, weil er unnahbar und abweisend ist, doch wenn er mal Schnupfen bekommt und zu Shinichi wird, sagt er dann etwas? Gibt er ihr ein Zeichen, dass er sie mag? Nein, er sagt, dass sie hässlich ist!“ Er hatte ganz schön viel gelesen seither, um mit ihr mehr über Mangas sprechen zu können. „Was sollten die Kerle denn stattdessen machen?“, hatte er gefragt und gehofft, dass er nicht dumm rüberkommen würde. „Ich meine, wenn du Mangas zeichnen würdest, was würdest du tun?“ Sie hatte so schön ausgesehen, als sie es sich vorstellte. Sie war natürlich immer schön – ohne Frage. Aber damals im beginnenden Abendgold auf der Brücke... „Ich würde sie es aussprechen lassen. Oder klar verständlich andeuten. Das wäre mutig und romantisch. Auch wenn daraus nichts wird, es ist nur fair, wenn sie es weiß. Ich mag es nicht, wenn die Kerle die Entscheidung treffen ohne ihre Angebeteten überhaupt zu informieren. Das wird immer als stark und ehrbar verkauft. Aber ich finde es besser, wenn man seine Optionen kennt. Und es ist ein Zeichen von Stärke Ich liebe dich zu sagen zu jemandem, bei dem man nicht sicher ist, wie dieser fühlt. Eine Geschichte, wo der Junge es sagt, ohne etwas zu erwarten, würde mir vielleicht gefallen. Ein Ich liebe dich, egal ob wir zusammen kommen oder nicht. Das ändert nichts an meinen Gefühlen. Das wäre doch einmal etwas anderes.“ Sie hatte es mit Leidenschaft und einem fröhlichen Lächeln gesagt. Das hatte ihn beeindruckt. „Aber vielleicht wäre dann die Geschichte zu kurz“, hatte er eingeworfen. „Und alle lieben doch das kriegen-sie-sich-oder-nicht-Spiel, oder?“ Davon hatte sie sich nicht einschüchtern lassen. Sie hatte nur noch breiter gelächelt. „Ein wirklich guter Autor würde da trotzdem Spannung hineinbekommen“, schien sie überzeugt. „Und im wirklichen Leben wäre es mir auch viel lieber, wenn Leute mich darüber aufklären, wie sie zu mir stehen. Es muss doch furchtbar sein, wenn man das Gefühl hat, jemand mag einen – und man mag diesen jemand vielleicht ja auch - und dann ist der nur zurückweisend.“ Sie hatte ihr Gesicht dem Wind zugewandt: „Ich hoffe, dass, wenn ich mich mal verliebe, ich auch den Mut haben werde, es dieser Person mitzuteilen.“ Ihr Blick hatte kurz den Seinen getroffen. Da hatte er es deutlich gespürt. Warum war er danach eigentlich so unsicher geworden?

Die Treppe lag vor ihm. Da unten würde sie warten. Sie war vermutlich schon da. Und so viel Zeit gab es nicht, die anderen würden ja auch bald kommen. Tief durchatmen. Warum hatte nur Daniel ein Auge auf sie werfen müssen? Es war kein guter Tag gewesen, als Daniel beschlossen hatte, ihm und den anderen im Vertrauen zu erzählen, wie sehr er sich in Ella verliebt hatte. Er hatte ihnen erzählt, dass er kaum essen und schlafen konnte. Ha, als ob es Tommy da anders gegangen wäre! Aber als guter Freund hat er die Klappe gehalten. Mit Daniel konnte er nicht mithalten, das wusste er. Daniel war beliebt bei allen, er mochte ihn ja selber so gerne. Und er konnte gut mit den Mädchen. Insgeheim hatte Tommy gehofft, dass Ella sich nicht so leicht von ihm beeindrucken lassen würde. Aber Daniel hatte immer gute Geschichten auf Lager und war ein richtig netter Kerl. Und wahrscheinlich hatte er ihr schon längst seine Liebe gestanden, nur Tommy hatte vermieden, die Geschichte über ihre Reaktion zu hören. Aber sein Lächeln hatte doch eigentlich schon alles gesagt, oder? Genug!, scholt er sich. Du musst es ihr nur sagen und dann den Abend überleben!

Er rannte die Treppe nach unten. Nicht stehenbleiben! Weiter! Er sah ihr rötlich braunes Haar in der Abendsonne leuchten. Ja, sie wartete schon auf ihn. Sie ging bereits ungeduldig auf und ab. Jetzt sah sie ihn und lächelte ihm entgegen. Es gibt kein zurück. Sag es ihr! Sag es ihr! „Hi“, begrüßte sie ihn und er spürte sofort, wie der Mut ihn verließ. Nein! Sie findet es unfair, wenn du nichts sagst. „Wie geht’s?“, fragte sie. Er hatte immer noch keine Silbe über die Lippen gebracht. „Ist alles okay?“

Wo waren nur die ganzen Sätze hin, die er so lange geübt hatte? Und warum waren seine Knie so schwach? Er würde ihre Freundschaft riskieren, oder? Er wollte sie nicht verlieren! „Können wir Freunde bleiben?“ – das war aus seinem Mund gekommen. Was für ein Unsinn! Wie sollte er das jetzt aufklären? Eine Katastrophe. In seinem Hirn formten sich die seltsamsten Ausreden. Er konnte sie nicht ansehen. Was nun? Es war nur fair die Wahrheit zu sagen. Er hob den Blick. Ella sah ihm erschrocken entgegen. „Ich... heißt das, dass...“, stammelte sie. „Spricht etwas dagegen, dass....?“ Sie schüttelte den Kopf, wie um ihn wieder klar zu bekommen. „Ich will unbedingt mit dir befreundet bleiben“, sagte sie mit fester Stimme. „Das ist mir sehr wichtig.“

Freunde. Ja, das war wirklich wichtig. Mit niemandem sonst konnte er so offen sein und trotzdem so viel lachen. „Ich meinte nur, weil Daniel...“

„Was hat er gesagt?“ Sie sah ihn zweifelnd an.

„Er hat nichts gesagt“, stellte Tommy schnell klar. „Ich meine, er sagte nur...“ Er lächelte sie an. „Ich mag dich sehr, egal was ist. Das wollte ich sagen.“ Ihr Blick veränderte sich, aber er konnte nicht erkennen, was Ella dachte. Sie schien sich auch nicht sicher zu sein.

„Ich habe Daniel gesagt, dass ich in jemand anderen verliebt bin“, sagte sie nun mit eindringlichem Blick.

„Oh, dann seid ihr gar kein Paar?“

Sie sah Tommy entgeistert an. „Nein, natürlich nicht.“

Und Tommy fühlte sich sofort dumm. Ja, natürlich nicht! Sie hatte doch nie gezeigt, dass sie ihn mehr mochte als andere. Sie lächelte ja auch fröhlicher, wenn sie ihn, Tommy, sah. Er fühlte sich wie ein Esel. „Entschuldige, ich war nicht ganz klar im Kopf in letzter Zeit.“ Ihm war ein Stein vom Herzen gefallen. Daniel war wohl einfach eine Frohnatur, den konnte wohl auch ein Korb nicht aus der Fassung bringen. Und sie hatte ihm ja auch einen höflichen Grund gegeben. „Entschuldige, dass ich so blöd war.“ Er wollte ihr entgegen lächeln, erst da bemerkte er, wie unsicher sie vor ihm stand. „Ich habe geschworen in diesen Dingen mutig zu sein“, sagte sie. „Tommy, ich finde... ich meine, du bist...“ Erst jetzt erkannte er, wie nervös sie war. Sein gebeuteltes Herz schien den Boden zu verlieren. „Ich... du... ich habe....“ Völlig verblüfft erkannte er endlich, was ihm bis jetzt verborgen war: „Du...“, begann er, „Du hast mich lieb?“

Ella begann heftig zu nicken. „Ja, ich habe dich sehr lieb. So richtig. So mit Schmetterlingen und weichen Knien und so.“ Er war so im Glück, dass er vergaß, zu reagieren. „Oh verzeih“, sie stand schwankend vor ihm. Er musste sie aus ihrer Not befreien: „Ich habe dich unendlich lieb“, sagte er endlich und versuchte sie schüchtern zu umarmen. „Wirklich?“, brauchte sie noch einmal eine Bestätigung. „Wirklich!“ Und er vergaß die Schüchternheit und umarmte sie sanft und liebevoll. Und wie sie sich da glücklich an ihn schmiegte! Das Gefühl war unbeschreiblich. Noch da oben an der Treppe hatte er nicht gedacht, dass eine völlig neue Welt am Absatz darunter liegen würde. Doch plötzlich lag alles klar vor ihm. Das war das Glück, das war der Anfang eines neuen Lebens.

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